Der magische Ort

Sie nannten es den magischen Ort.


Tatsächlich brachte die Eigenart des Ortes, möglicherweise eine Art von Magnetismus in den Bergen , verborgene Kristalle oder was immer diesen Zustand hervorrief, eine Form des Vergessens mit sich. Man vergaß den Rest der Welt, obwohl er hier täglich aufs Neue in Gestalt der ankommenden und abreisenden Personen anwesend war. Dies erschien mit der Zeit ebenso wie die Wellen der Gezeiten, die auch manchmal größer und wilder waren, dann wieder freundlich. Wer blieb, wurde zu einem Bestandteil des Ganzen. Und das waren dann eben sie, die mithilfe des magischen Ortes ebenfalls geheimnisumwittert erschienen. Wer sie einmal gewesen waren, interessierte nicht mehr.

 

 

Primo, einmal in seiner Höhle angekommen, das an und abschwellende Geräusch der Wellen, welche die Steine beim zurückfließen mit sich zogen, in den Ohren, fand es zunehmend schwerer, sich überhaupt noch mit diesen Gedanken zu befassen, welche ihn erst hierhergeführt hatten. Dies war nun schon einige Zeit her, Tage, Wochen. Primo hatte sich mehr und mehr dem Tageslauf im Banne der Sonne unterworfen. Seine Haut musste sich daran gewöhnen, die Augen und auch die Tätigkeiten, die sich nur zu bestimmten Zeiten ausführen ließen. Es waren ja nicht viele, denn außer Wasser holen, essen, schlafen, schwimmen und schauen gab es keine Notwendigkeiten. Ab und zu kamen nun Ängste auf, die dieses Hinter sich lassen der Zivilisation als gewagt und gefährlich erscheinen ließen. Was wäre, wenn…


Allerdings war diese Zivilisation nie wirklich weit weg. Wenn Primo wollte, so konnte er sich über den steilen Geröllweg der Uferböschung aufmachen, und fand nach einigen Stunden des anstrengenden Wanderns einen kleinen Ort vor, an dem die Leute in Cafes saßen, sie saßen an kleinen Tischen vor den Häusern und schauten aufs Meer. Auch sie wollten dem Gewohnten entfliehen, wenn auch nur für einen kurzen Traum. Denn anders als bei Primo war das wirkliche Leben für sie nicht hier. Primo, an einem der winzigen runden Tischlein sitzend, auf einem harten Stühlchen, fühlte sich indes unsicher, was wirklich oder was magisch zu nennen sei. Jene, die den Kaffee brachten, indes, waren hier in ihrer Wirklichkeit, die ganz einfach ihre Heimat war, oder ihre Wahl, oder ein vermeintliches Paradies. Sie standen an der zischenden Maschine, heißer Dampf stieg auf, es duftete und die Handbewegungen wurden zu einem Teil ihres Körpers. Wie beruhigend es war, eine Aufgabe zu haben. Als er sie noch hatte, wollte er ihnen entkommen, den Aufgaben.

Primo machte sich morgens auf den Weg, denn der Magen knurrte. Und als er dann von weitem die Linie der Häuser sah, die den kleinen Strand säumten, wurde es schon heiß und er war froh, dass er sich bald in einen Schatten begeben konnte. Denn Sonne ohne Schatten, dass war keine gute Idee, auf Dauer gesehen. Er lief in seinen Sandalen weiter, Hut auf dem Kopf und fiel in keiner Weise irgendwie auf. Wer sich kannte vom Sehen, lächelte und grüßte. Und so mancher hier war auch sehr aufmerksam. Denn es gab Zeit zum Beobachten.
Primo setzte sich an einen der kleinen Tische im Schatten. Auch er begann, die vorüber schlendernden zu betrachten, es war immer etwas los. Kinder, Hunde, und Ältere, die eine Gymnastikgruppe am Strand bildeten.
Es wirkte friedlich, die Stimmen wie gedämpft durch die Weite des Raumes, an dessen Ufer sie saßen.
Der Raum, der ein Lebewesen war. Ein Raum der verband mit den Kontinenten und doch ein Schutz davor war. Wenngleich man nicht weglaufen konnte. Die Weglaufenden selbst waren die Gefahr.
Gerade erst hatte es wilde Diskussionen gegeben, denn in einem weit entfernten Lande war ein ansteckendes Virus ausgebrochen, viele Menschen wurden dort in eine Quarantäne abgeriegelt. Trotzdem hatte es der verdammte Virus bis in dieses Paradies geschafft, mit einigen Besuchern.
Es war wohl weiter nichts passiert. Aber so ganz konnte man das nie wissen.
Primo rührte Zucker in die Tasse, und genoss den ersten Schluck, er genoss jeden einzelnen Schluck, denn dieser Luxus der Zivilisation war in seiner Höhle nicht vorhanden. Wie aber, wie. War das ganze Zurückziehen damit eine Lüge? Nie zuvor war er so bei sich selbst gewesen, hatte die Zeit gehabt, solche Momente überhaupt wahrzunehmen. Oder wenn Zeit, so war das mit schlechtem Gewissen verbunden gewesen, und auch einsam. Denn in seiner alten Welt musste man etwas tun, und wer nichts tat, der war nicht wirklich. In der magischen Welt sahen die Bewohner sich anders an. Es war gar nicht wichtig, wer du einst warst, was du machtest , und , ein wenig war man damit schon von seiner Identifizierung abgeschnitten, die man meist doch viele Jahre für sich aufgebaut hatte. Jetzt war er eben….ja. Das Dumme mit den Reisenden war immer ihre erste Frage: Was machst du so? Es genügte natürlich, zu antworten: Ich wohne hier. Das brachte einen enormen Respekt ein und das Gefühl, zu einer auserlesenen Art zuzugehören. Die nächste Frage war dann: Oh, und wovon lebst Du? Ich möchte ja auch….
Darauf antwortete niemand so ganz klar. Denn einfach war es nicht. Es war nicht einfach zu erklären, auf was man alles zu verzichten bereit sein musste. Es benötigte ein magisches Ziel, wenn man sich loslösen sollte von der alten Identität.
Auswandern, aussteigen? Diese Schlagworte nahm man ungern .

Nebenan öffnet Mar gerade die Yogaschule. Mit einem lauten Rattern schiebt sich die Gittertür zur Seite. Als Primo aufblickt, grüßt sie ihn mit einem lauten Hola und einem breitem Lächeln über das ganze Gesicht. Das ist hier so. Im nächsten Moment ist sie schon anderswo und er hört ihre Stimme, versteht jedoch nicht allzu viel von der Sprache. Primo ist erschöpft. Die letzte graue Haarpracht, welche noch vom Hinterkopf den Rücken herunter fällt, klebt vor Schweiß im Nacken und er denkt, es wird Zeit, Wasser in seine Flaschen zu füllen. Am Strand sammeln sich die Badegäste, auch Primo will sich nun in die flache Bucht stürzen, um anschließend unter dem einzigen kleinen Bäumchen im Schatten zu brüten. Dort finden sich Bekannte ein, immer finden sich Bekannte. Es ist ein kleiner Ort.
Da sieht er von der Seite noch einmal Mar mit dem Besen aus der Türe treten, sie macht ein paar Schritte auf ihn zu, der auf dem Bürgersteig an seinem Tischlein sitzt, und sagt mit ihrem Akzent auf englisch: „Tonight is full moon. We have Party. If you want…?“ Primo nickt und lächelt und sagt: Siii, gracias!“
Es ist doch ein Beweis dafür, dass er dazugehört. Zu etwas. Was genau das ist, das erschließt sich vielleicht noch. Einige Monate sind im Grunde die Zeit, in der erst einmal alle Illusionen abfallen und das Erkennen beginnt, wo man ist. Jeder, der ankommt ist erst einmal in der Phase der Verliebtheit. So wie mit einer Frau, die man noch nicht richtig kennt. Wie jeder weiss, geht das irgendwann meist in andere Phasen über, man kennt sich dann. Oder glaubt sich zu kennen. Vielleicht kennt man sie auch nie.
Auch Mar ist nicht mehr ganz jung, sie hatte Zeit, sich zu etablieren. Der Beruf der Yogalehrer ist an diesem Ort übermäßig vertreten, und wer neu dazukommt, findet nicht einfach mal ein Einkommen. So gibt es also auch junge Männer, die ab und zu am Strand Yoga gegen Spende anbieten. Ebenso wie unzählige Straßenmusiker, welche mit der Fähre ankommen und nach einigen Wochen wieder abfahren. Sie tragen viel zu der wundervollen Stimmung bei. Ja, was hatte er nicht alles für Pläne gehabt! Nun, da er endlich frei ist zu tun, was ihm beliebt.
Mar ist ein schöne Frau. Lange Haare, lange weiße Kleider – die Frauen hier achten sehr auf sich.
Während Primo sich die wenigen Meter zum Strand herunter bewegt, hört er in der Ferne bereits das Schiff. Es steuert wie jeden Tag den nahegelegenen Hafen an. Alles ist wie jeden Tag. Immerhin hat er nun die Aussicht auf einen Abend mit Tanzen und Freunden. Es bedeutet aber auch, dass er kilometerweit von seiner Höhle entfernt übernachten muss. Das hat er schon gelernt: An einem Vollmond ist das Meer besonders wild, die Wellen schlagen weit höher auf als gewöhnlich. Und Primo verflucht sich, dass er nicht seine Sachen in Sicherheit gebracht hat. Sogar hat er den Schlafsack nach draußen gehängt. Na, zurück zu gehen macht nun keinen Sinn mehr. “ Stunden hin, drei bis dahin, wo die Party stattfindet….
Er weiß natürlich, wo das ist. Die Touristen welche um ihn herum lagern, mit den noch weißen oder schon roten Beinen, sie wissen es nicht und sollen es auch nicht wissen.
Das Schiff, es kommt von der großen Nachbarinsel, wird nun lauter und legt langsam an. Aus der Fähre heraus quellen die müden Menschen mit ihren Koffern. Ein reger Verkehr setzt ein, der sich nach einer halben Stunde wieder beruhigt. Hier und da hört man noch einen Rollkoffer, der über das grobe Steinpflaster gezogen wird. Es gibt nichts zu tun, als zu schauen. Die Leute beobachten sich gegenseitig, ganz unauffällig. Die einheimischen Seniorinnen haben ihre Gymnastik längst beendet und sitzen nun im Haus der pensionistas, wo man durch die offenen Türen ihr Gelächter beim Kartenspiel hört, und was sie über wen erzählen, will man auch gar nicht unbedingt verstehen. Der Dialekt dieser Gegend ist legendär und für Anfänger in der Sprache unverständlich. Doch auch die vielen Leute, die in seiner eigenen Sprache reden, will Primo am liebsten gar nicht verstehen. Es klingt auf einmal so banal, es klingt besserwisserisch, es klingt hohl in seinen Ohren. Obwohl er sich, seit auf der Insel, immer mehr der plakativen Ausdrucksform von Nichtssagendem in überaus freundlicher Art angepasst hat, nirgendwo anecken und erstmal alles tolerieren, fällt ihm nun auf, dass die Kurzzeitreisenden in ihrer Identität verbleiben. Sie reden über Zuhause, ihre Bekannten und Familien, und allenfalls interessiert sie hier das Wetter sowie die besten Restaurants.


Doch als Liebhaber des magischen Ortes hat man eine andere Identität. Man ist ein Liebender, vielleicht ein heimlicher, ein widerstrebender, oder überdrüssiger, ein immer wiederkehrender oder enttäuschter. In jedem Fall hat es einen gepackt, und man gehört dazu. Nun, ja. Wenn man dann die verschiedenen Phasen des Kennenlernens meistert. Primo befindet sich noch in der beginnenden Enttäuschung ebenso wie in der Hoffnung, dass sich neue Verknüpfungen bilden, dass sein Organismus sich in das Biotop einwurzelt. Und es wurde ihm ein wenig grausam klar in letzter Zeit, dass es sich eben auch um das Lebensalter handelt, welches unaufhaltsam Veränderungen mit sich bringt. Im Haus der Senioren war er noch nicht, sagte er sich trotzig. Und er trug mit Stolz das neue T-Shirt mit dem Aufdruck des Geckos, welcher praktisch ein Symbol der Hippiegemeinschaft der letzten Jahrzehnte in diesem Orte gewesen. Allerdings war es nun schon recht zerknittert und der Schweiß breitete sich unter den Achselhöhlen aus.

Primo bemerkt, dass hinter ihm auf der Mauer eine junge, neu angekommene Frau mit Rucksack und allerlei anderem Zubehör Platz genommen hat. Sie blickt strahlend auf das Meer und isst dabei eine Banane. Sie trägt die üblichen Trekkingklamotten, viel zu warm, und sie ist wirklich hübsch. Allerlei andere Herren werfen ebenfalls Blicke zu ihr herüber, so dass ihm schon die Lust vergeht, sie einfach nur freundlich zu grüßen. Das ist hier so. Man trifft sich schnell, doch im Rentenalter wäre es eher ein wenig peinlich, wenn ihm womöglich sogleich lüsterne Absichten unterstellt werden.


Offenbar wirkt er harmlos genug, denn das Mädchen – ja er kann gar nicht mehr schätzen, wie alt- möchte ihn, ausgerechnet ihn, nun einiges fragen.
Er kann sich nun mit seinen Auskünften , in seiner eigenen Sprache, gestatten, dazuzusetzen und es entspinnt sich ein lockeres Gespräch. Nun würde es ja ohnehin normal sein, dass man sich in den nächsten Tagen wiedersieht. Einfach so. Weil der Ort ja nicht allzu viele Straßen hat und der Strand ist winzig. Aber doch kommt ihm nun ein Joker in den Sinn, und er fühlt sich getrieben, das Mädchen- sie heißt Lara- mit auf diese legendäre Party zu laden, zu der er selbst eben erst eingeladen wurde. Auch würde es ihm ein Gefühl von Erfolg geben, mit einem schönen Weib an seiner Seite aufzutauchen. Das wäre es dann vermutlich, denn es gäbe dort eine Auswahl schöner junger und auch älterer Menschen, die sich wahlweise zueinander hingezogen fühlen würden. Er verspricht, sich mit ihr am Abend zum Sonnenuntergang wiederzutreffen.

Schnell noch einkaufen, bevor die Geschäfte um zwei Uhr mittags schließen. Nun würde er jemanden besuchen, wo er auf der Veranda einen Mittagsschlaf halten könne und es wurde geraucht und ein Glas Wein, und viele Ideen machten die Runde, was man alles tun könne oder hätte tun sollen oder wie es verhindert wurde.

Fortsetzung Der magische Ort 2

 

Lara
Eigentlich ist das doch super! Lara steht unter der Dusche in der Pension, das Wasser ist nicht heiß.  Aber egal. Sie ist erledigt, aber viel zu aufgeregt, um sich auszuruhen. Es war so eine Überwindung, allein loszufahren, und nun hat sie zum Glück gleich jemanden gefunden, mit dem sie nicht allein ist. Das sieht doch einfach doof aus, denkt sie, allein rum sitzen oder essen gehen. Auch wenn dieser Typ ihr Papa sein könnte, oder gerade deswegen. Nun, jedenfalls hatte sie solche Befürchtungen und Berechnungen angestellt.
Aber gleich zu einer Party, draußen, und was bitte, soll sie dazu anziehen? Es scheint, in ihrem riesigen Rucksack befindet sich nicht ein einziges Teil, dass sie anziehen könnte. Sie holt sie alle raus. Trekking, das geht ja wohl gar nicht.

 


Man möchte sofort ein neuer Mensch werden, mit neuen Kleidern. So fühlt sich das an. Sie ist kein Mädchen. Sie ist fast 30. Genau die Zeit, in der man alles umschmeißen will und sich neu erfinden, weil das ganze noch nicht zufriedenstellend war. Und darum ist sie ja allein unterwegs. Eine Selbstfindung, dafür war ihr dieser Ort so empfohlen worden von einer Freundin. Es bedeutete wohl eher, dass frau hier jederzeit einen neuen lover finden konnte. So verstand die Freundin das, und gewiss, auch so kann man sich selbst finden. Oder suchen. Es wurde aber auch die fantastische Naturlandschaft erwähnt und wilde Berge, Wanderwege, Wale, Delphine. Einen Zeitplan gab es nicht.


Als Lara vor die Eingangstür trat, die von großen Pflanzentöpfen umrahmt war, umfing sie die Wärme der Luft wie eine liebevolle Umarmung. Sie fühlte sich. Sie trug nun sogar ein Kleid, ihr einziges, und es war schwarz. So sagten es alle, in der Stadt, natürlich, ein schwarzes Kleid ist immer richtig. Als sie der kleinen Gasse abwärts folgte, an einigen Bars vorüber, kleinen Obstläden und auch solchen mit Kleidern, die mittlerweile wieder geöffnet waren, hörte sie bereits die Wellen des Ozeans. Es war gerade um die Ecke. Da tat sich der Ausblick auf das Meer auf, über dem Horizont neigte sich die Sonne bereits gen Westen herunter. Die Promenade war erfüllt von Klängen eines runden Instrumentes, welches ein bunt gekleideter Mensch mit den Fingern spielte. Das ganze erinnerte Lara an eine Filmszene, und sie selbst war da nun mitten drin. Im dunklen Sand unterhalb der Promenade lagen und sassen Leute in Grüppchen, sie tranken und unterhielten sich, kleine Kinder spielten. Und nachdem sie eine Weile auf der Mauer gesessen hatte, fand sie sich auch nicht mehr fehl am Platze. Denn es gab hier kein richtig und falsch, hier trug wohl jeder am Leibe, was er wollte. Da zeigten sich abenteuerliche und bunte Gestalten.

 

Indessen war der Nachmittag vorangeschritten, die Kinder waren aus der Schule nach Hause gekommen, einige Kilometer weiter oben am Berg, der recht steil aussah, wässerte Eagle mit einem Schlauch seinen Garten. Für ihn war der Garten sein Zuhause. Er hatte sich vor einigen Jahren hier niedergelassen, auch er ein Flüchtiger der Gesellschaft, und hatte sich ein grünes Reich erschaffen, über das seine Nachbarn nicht immer ganz glücklich waren. Für sie, auf dem Land ihrer Väter aufgewachsen, wie sie gern sagten, hatte es Nahrung hervorzubringen. Das Wasser war kostbar, und man konnte es doch nicht einfach für Blumen verschwenden. Man hatte kleine Terassen dem Berge abgetrotzt, mit harter schwarzer Erde, von Steinmauern eingefasst, und von jeher war es mühsame Arbeit gewesen, hier Mais, Bananen und Kartoffeln hervorzubringen.
Die verschwenderische Fülle also, die der halbnackte braungebrannte dürre Mann um sich herum spürte, war ein seltenes Paradies, sein persönliches und doch hatte er die ganze Erde im Sinn, wenn er den Pflanzen seine Liebe gab. Noch schien vielen hier die Welt in Ordnung und sie sahen sogar in Bananenplantagen ein Paradies, und damit war schon alles gesagt. Für Eagle waren die Heilpflanzen, die Bäume mit Papayas und Avocados, Salbei und Jasmin und so viele mehr seine Freunde, die Eidechsen, die im trockenen Laub der Bourgainvillea raschelten, und über allem die Sonne, für deren Wirkung er sorgfältig die Ordnung im Garten so gestaltet hatte, dass es Schatten gab, wo er nötig war. Eagle kam mit den Menschen nicht ganz so gut zurecht. Sie verstanden ihn irgendwie einfach nicht. Aber hier ging es, man war freundlich und ohnehin kannte jeder jeden. Und so hatte er sich tatsächlich vorgenommen, seine Scheu heute zu überwinden und sich an den Strand zur Vollmondparty zu begeben. Die natürlich von seinen deutschen Bekannten organisiert wurde. Man konnte ja auch am Rande sitzen, im Dunkeln und auf den Mond gucken.
Paradoxerweise linderte das die Einsamkeit, die im Innern da war, auch ohne mit jemandem reden zu müssen. Vor allem die warme Luft umarmte einen so, als sei man ein Fisch im Wasser. Ein etwas merkwürdiger Vergleich, vielleicht…dachte Eagle amüsiert. Aber gerade das war es ja, weshalb ihn niemand verstehen wollte. Er sprach in Bildern und seltsamen Vergleichen, manchmal schien er zu fantasieren oder hielt Monologe über Mutter Erde.
Zwar sangen auch die anderen spirituell angehauchten Wesen in kleinen Kreisen Lieder über Mutter Erde, fühlten sich dabei wohlig und als gute Menschen, doch was Eagle da so erzählte, von Umwälzungen, früheren Leben….

 


Für Eagle waren die vielen Welten, die er parallel sehen konnte, ganz selbstverständlich und eben so erzählte er auch. Darum nannte er sich auch Eagle, der Adler, der über allem schwebend den Überblick hat. Er tauchte aber auch gern mal unter in einer der Welten, einer der Rollen, die ihm die früheren Leben gaben, und wirkte dann mitunter merkwürdig. Wer ihn kannte, hatte sich daran gewöhnt. Man sah ihn ja nicht sehr oft.

 

„Igel?“ fragte Lara erstaunt, als Eagle ihr von Primo vorgestellt wurde. Sie fand die beiden im schwarzen Sand sitzend, und musste die Sandalen ausziehen, um durch den tiefen warmen Sand zu waten, in dem sie bis zu den Knöcheln einsank. Die beiden kicherten. „Eagle wie Adler“ sagte Eagle freundlich und erheitert. Er betrachtete sie neugierig. Lara lächelte und sagte erst mal nichts mehr. Um sie herum fanden sich etliche Sonnenuntergangsanbeter, während die Sonne sich tiefer senkte, es war ein besonderer Moment. Einige packte Trommeln aus. „Ich glaube, das Trommeln zum sunset gibt es seit dreißig Jahren“ sagte Primo. „Ich bin immer wieder gekommen. Wenn es ging, jedes Jahr.“ „Aber das ist anders als hier zu bleiben.“ warf Eagle ein. “ So viele träumen das ganze Jahr davon, und bleiben trotzdem in ihren alten Rollen stecken und wollen die vermeintliche Sicherheit auch eigentlich nie aufgeben. “ “ Ja, das ist doch verständlich“ meinte Lara. “ Was tauscht man dafür ein?“ „Du wirst schon sehen.“ Und ja, es war ein erhebendes Erlebnis, in dieser Weite, vor dem Ozean den Himmel zu betrachten, die Menschen und sogar die Gebäude schienen hier so klein. Der Berg hinter ihr nahm eine rotgoldene Farbe an und das gesamte Panorama wirkte grandios. Manche wollen die vermeintliche Freiheit nicht aufgeben, dachte Primo so bei sich. Und tun dafür alles. Aber sowas sagte man nicht laut.
Es ging erstaunlich schnell mit der Sonne. Als es dunkler war, gingen viele davon, um zu essen. „Ja, wir holen uns auch was. Lasst uns einfach langsam zum nächsten Ort aufbrechen.“ Unterwegs hub Eagle zu einem seiner Vorträge an:

 

„Entweder du fühlst dich verloren, oder du musst deine Illusion aufrechterhalten. Eine Illusion. Sei es die vom großen Glück, sei es dass du allen sagst, dir gehe es so viel besser als allen anderen, du seiest im Paradies angekommen oder etwas ähnliches. Manchmal braucht man diesen Traum, um weiterzumachen. Aber eigentlich ist es, um eine alte Wunde zu heilen. Wer die Wunde nicht anschaut, kann sie aber nicht heilen, und darum verschleißt sich das Paradies, vor deinen Augen, mit der Zeit. Du erschaffst wieder deine Realität, die du kennst, alle anderen um dich herum machen es ja auch so. Das ergibt Konflikte, wenn jemand deine Wahrheit nicht sehen kann , oder will, und seine Sicht der Wahrheit kannst du auch nicht erkennen. Dann ziehen sich die Menschen zurück, in die Natur, ihr Inneres, und finden die Schuld bei den anderen.
Du lebst schon so lange damit. Mit deinem Schmerz, mit der Suche, manche heben sich so von der Wirklichkeit ab, dass sie gar nicht mehr vorwärts finden. Wer schwebt, kann schwerlich einen Schritt machen. Er befindet sich in diffuser Wahrnehmung, diffusem Licht, wo er die Richtung nicht findet. Die Wahrheit ist vielschichtig, und zugleich einfach. “
Ach. Vielleicht ist es auch einfach nur die Sonne. Wir hungern nach Sonne. Primo schritt, in Gedanken schweifend, neben den anderen beiden, es war schön, eine Art von Gesellschaft zu haben. Er mochte Eagle, der hatte schon Ideen. „Wir laufen doch alle mit halbgaren Vorstellungen davon herum, was Freiheit überhaupt sein soll. Es ist eine Kinderfreiheit, die wir hier suchen. Sand, Meer, Ferien. Keine Eltern, keine Schule, kein Staat. Und das ist so, weil man uns geknechtet hat, seit wir klein sind, sollten wir etwas werden. Und wir werden ja auch immer. Wir falten unsere Freiheit mehr und mehr zusammen, unterwerfen uns den Zwängen, erreichen Erfolge, für diese Bestätigung geben wir etwas von uns weg. “
„Ja. Stimmt. Und wenn wir uns das erst mal wiederholen, das Stück von uns selbst, ist das schon okay, nicht wahr!“ sagte Eagle etwas zu laut, so als fühle er sich leicht angegriffen. “ „Auch wieder wahr.“ Primo dachte so bei sich, dass jene, die solche Erfolge gar nicht erst erreichen konnten, sensiblere Menschen, die ausgegrenzt wurden, oder es mit dem Zusammenfalten nicht geschafft hatten, besonders nach einem solchen Ort hungerten. Und hier zu bleiben war ein Erfolg.
Wind war aufgekommen und wurde stärker. Es war allerdings ein warmer Wind. Die Wellen waren lauter. Oder schien das so, weil es dunkel war. Lara fand, in dieser Dunkelheit, die sehr viel dunkler war, als in der Stadt, war diese Naturgewalt schon ein wenig mehr einschüchternd. Ob man sich daran gewöhnte? Sie war heilfroh, nicht allein zu sein, besonders weil sie ja auch gar nicht wusste, wen man noch so traf auf dieser Party. Es waren schon etwas bizarr anmutende Leute zu sehen, an einer kleinen Kapelle, die sie jetzt passierten sassen die mitsamt Gepäck auf dem Mäuerchen an einem Baum. Es wurde gelacht und gesungen, getrunken, bestimmt rauchten die auch alle Joints. Sie wusste nicht recht, ob sie obdachlos oder Hippie oder Globetrotter oder anders zu nennen waren. Menschen, die sich nicht zusammenfalten wollten. Die bunte Kleidung unterschied sie. Kleidung aus anderen Ländern und Kulturen. Und es gab auch andere Sprachen, Gesten, und es waren auch abends noch lange die Geschäfte offen. So holten sich nun die drei bei einer kleinen Tienda Brot und Oliven, Wein und Tomaten, um ihr Abendmahl ebenfalls auf einer der Steinmauerumrandungen einzunehmen. Von dort blickten sie auf mehrere Restaurants, in denen meist ältere Paare saßen, also jene Reisenden, die sich das leisten konnten, täglich eines der schmackhaften Fischgerichte zu kosten.


Das Meer hatte sich zur Ebbe zurückgezogen und legte so steinige nasse Flächen frei, die schwarz im Lichte der Laternen glänzten, die oben an der Promenade leuchteten. Auf der Mauer gab es lebhaftes Kommen und Gehen, Grüppchen von jungen Leuten mit Hunden, Gitarren, und es wurde auch immer wieder gegrüßt in ihre Richtung, ein Schwätzchen im Vorübergehen. Es fühlte sich gut an.
Unterhalb der Mauer spielten einheimische Familien Boule. Boccia. Oder wie heißt es auf spanisch…Sie wohnen hier. Waren nie weg. Für sie ist Heimat das Paradies, oder. Jedenfalls haben sie eine. Sie wissen wo sie hingehören.
Weiter oben spielten alte Männer, die um rechteckige Tische saßen, Domino.

 

Fast bedauerte Lara, dass sie von diesem anheimelnden kleinen Platz nun wieder weiter wollten. Hier würde sie vielleicht jeden Abend sitzen in Zukunft. Doch nun trieb es die anderen zur Musik, und es war noch ein Stück zu laufen. Selbstverständlich ging man das zu Fuß. Es gab zwar Leute mit Autos, und wer den Berg hoch wollte, wurde auch oft mitgenommen. Aber hier, das war für Freigeister ein Katzensprung. Es ging an einigen Hotelanlagen vorüber, doch dahinter schien sich die Dunkelheit wieder bedrohlich auszubreiten. Man passierte noch einen kleinen Parkplatz, auf dem auch einige Camper standen, dahinter tauchte man tief in den Sand. Zur rechten Seite erhob sich nun wieder ein überaus hoher steiler Berg, überall lagen Felsen herum, als seien sie eben erst vom Vulkan ausgespuckt worden. Und von vorn die Wellen. Dies war ein richtig wilder Strand, an dem man auch lieber nicht schwimmen sollte, sagte Primo. Der Wind von vorn hatte sich erheblich verstärkt und Lara griff nach ihrer Jacke. Die Haare wehten wie verrückt ins Gesicht und nun verstand sie, warum so viele der Frauen ein Tuch darum banden. Auch flogen diese winzigen feinen Sandkörnchen überall hin. Na ja. Das war Natur, fast schon Wildnis. Einige Leute lagerten hinter Felsen im Windschutz, doch sie kämpften sich jetzt durch den Sand auf eine höhere Ebene, und plötzlich war der Wind wie- weggeblasen.
Ein freier Platz tat sich auf, an dem bereits ein paar Menschen eine Art Tanzplatz herrichteten. Erste Klänge elektronischer Musik brandeten auf.
An den Felshängen über ihnen schienen Vögel zu schreien. “ Das sind die pardelas, SturmTaucher. Sie brüten um diese Zeit“

 

Eagle hatte sich an den Rand gesetzt, mit Blick von oben zum Meer, das Wasser schien hier mit Wucht gegen die Felsen zu prallen und spritzt in weißer Gischt auf. Primo tippte ihr auf die Schulter und deutete zur anderen Seite. Dort, links hinter den hohen Berg deutete sich ein Lichtschein an. Ach ja richtig, es ist eine Vollmondnacht! So dunkel ist es also gar nicht! Lara beschloss, sich das nicht entgehen zu lassen und setzte sich neben Eagle. Sie lehnte sich mit dem Rücken an einen Stein, der war sogar noch warm! Und endlich genoss sie es, sich zu entspannen, überließ sich den Klängen und es entstand der intensive Eindruck, in einem Film zu sein. War das noch real? Nun verwischten sich diese Grenzen, der Mond tauchte auf , in seiner eigenen Geschwindigkeit, nun gut, in der der Erdumdrehung, er beleuchtete alles gut sichtbar und warf einen Streifen helles Licht auf das Wasser. Die ganze Szene verführte zu ekstatischen Empfindungen und Lara verstand schon. Nichts zählte mehr, als das. Das.
Nach einer langen Weile drehte sie wieder den Kopf, und bemerkte, dass der Rhythmus der Musik schneller wurde, es war aber keine Masse wie in der Disco, die sich wie in Trance bewusstlos stampfte, sondern sie sah Einzelne wild umhertanzen, fast schon kunstvoll, diese Menschen hier hatten schöne Körper, sie bewegten sich ständig, und fühlten sich. Und klar, auch dies konnte man eine trance nennen. Vermutlich gab es unterschiedliche Formen davon, , Lara hatte sich noch nie damit beschäftigt und es war jetzt auch egal.
Sie freute sich einfach ganz groß, hier zu sein! Und so wurde sie mit in diesen Wirbel hineingezogen. Stunden um Stunden, sie sah Gesichter, die glücklich wirkten. Und es wurden immer mehr, alle schienen sich zu kennen, und es war hier nicht die Atmosphäre von Touristen, die alle fremd waren. Sie hatte Glück, dass sie hier sein durfte! Wohl mochte es einen im Nebel mancher Drogen in andere Welten tragen, doch Lara wurde immer klarer. Ein Rausch von Klarheit, gewiss auch durch die Übermüdung, die die ganze Reise mit sich brachte, die Überfülle von neuen Eindrücken. Aber eben auch diese Art von Ort.
Irgendwann spät, ihre neuen Freunde waren gar nicht mehr da, und hatten ja wohl ohnehin vor, am Strand zu schlafen, machte Lara sich auf den Weg zurück zu ihrer Pension , ganz am anderen Ende des Tales. Immerhin konnte sie sich kaum verlaufen, denn es ging immer am Meeressaume entlang. Und noch einmal, sie spürte nun schmerzhaft ihre Füße, denn sie hatte auf steinigem Boden getanzt, in Sandalen, noch mehr wurde ihr eine Art von Unerbittlichkeit in dieser Naturlandschaft bewusst. Es war klarer als alles, was sie zuvor gesehen hatte.

 

 

Yogaschule. Es waren einige Veranstaltungen auf dem Zettel angeführt, den Lara in ihrer Pension mit anderen Broschüren und Wanderführern entdeckt hatte.
Aber sie musste sich nun erst mal wieder zu sich finden! Mindestens eine Nachricht senden, dass sie gut angekommen sei, auch wenn sie die Zuhausegebliebenen am liebsten vergessen wollte. Ja, ganz unrecht hatte dieser Eagle nicht, mit der alten Wunde. Aber wer will die schon angucken, mit 20 hat man anderes zu tun. Man ist ja vielmehr damit beschäftigt, alle Schwächen zu verstecken, damit man wieder mal wer werden kann. Da dachte man, mit 18 wär man fertig….
Da dachte man, mit 30 wäre man wer. grummelte Lara in sich hinein. Mit 30 hat man es vergessen! Jedenfalls würde sie jetzt was für die Fitness tun. Ihr taten ja alle Knochen weh! Es war schon heiss, als sie aufstand, und sich nach einer Dusche mit wenig Wasser zu dem gestrigen Cafe begab, um ein Frühstück aus Obst und cafe con leche einzunehmen. Der Wind hatte aber nicht nachgelassen, ganz im Gegenteil. Es kam ihr vor wie in der Wüste. Sie band ein Tuch um den Kopf. Heftige Böen schüttelten die Markisen, und sie hatte das Gefühl, Sand würde in den Kaffee geblasen. Wieder einmal die Natur. Dennoch schien ja die Sonne, es war hell so hell, also zu hell. Lara setzte sich nach drinnen, um Ruhe zu haben. Einige Gesichter erkannte sie nun wieder, und sie wurde auch gegrüßt. Sie tippte das wlan Passwort ein, welches an der Wand aushing. Nun war sie zwischen den Welten, weder hier noch dort. Sie war überall und verlor sich eine Weile.
Nebenan schloss Mar die Yogaschule auf. Das Rattern des eisernen Gitters, das Rufen der Begrüßungen, man sprach über die besonders hohen Wellen, die diesen Vollmond begleiten würden und wie gefährlich es sei zu schwimmen. Die Stimmen draußen hatten eine gedämpfte Tonlage, das Schiff kam an, es war jeden Tag das gleiche und doch nicht. Der Wind machte auch der Fähre zu schaffen und jedes Mal war es ungewiss, ob die Anlandung glückte. Einige neue Bleichgesichter erschienen auf der Straße, die ihr Gepäck schleppten. Und na klar, ein bisschen schauen, wer schaut, wer gefällt mir, und hier und da ein Blickkontakt. Den alten Freund von gestern hatte Lara noch nicht entdeckt, er mochte sich wieder in seine Höhle verkrochen haben. Das hatte er gestern noch nicht gewusst, so wie eben alle Entscheidungen eher spontan getroffen wurden.
Primo hatte sich tatsächlich nach wenigen Stunden unbequemen Schlafes auf den Weg gemacht. Doch er kam nicht richtig an, das Meer hatte den Zugang zu seinem kleinen Steinstrand völlig überrollt, und Himmel, er war froh dass das nicht passiert war, während er da drinnen war. Den Schlafsack hatte er höher aufgehängt, so dass er ihn vom Felsen holen konnte. Nun, also, das wichtigste trug er ohnehin mit sich herum, und er machte sich missmutig wieder auf den Rückweg in den Ort, 2 Stunden umsonst gelaufen, und er war ja auch nicht mehr zwanzig! Vielleicht sollte er sich doch mal nach einem Zimmer umhören, leider war es hier in den letzten Jahren teurer geworden und Wohnraum war knapp.


„Hey“ sagte es neben ihm, als er wieder erwachte, nach einem tiefen wohligen Mittagsschlaf im Schatten, und er konnte Lara neben sich ausmachen, in einem hübschen blauen Bikini, mit einer riesigen Sonnenbrille im Gesicht, so hätte er sie wohl nicht erkannt. „Danke fürs mitnehmen gestern. Das war wirklich so super“ schwärmte sie von der verzauberten Nacht, die in einem grellen Morgenlicht schon wieder verblasst war. Na ja, er könnte sie jetzt ein bisschen mehr fragen, was sie eigentlich vorhatte. Nur Touristin? Dafür war sie eigentlich irgendwie zu anders, zu offen. Es gibt so eine Art, an der sich Reisende erkennen, also echte Reisende. Aber ne, fragen wär nicht cool.
Frauen reden ja gern über sich,….nur wenn was unschönes passiert war,…
„Hey, weißt du was! Ein ganzes Jahr Zeit! Ist das nicht Wahnsinn!“ Aaaah. Primo drehte sich interessiert zu ihr hin und setzte sich etwas umständlich zurecht. “ „Okay. Es gibt ja Leute, die wollen in so einem Jahr die ganze Welt sehen. Oder hören nie auf, noch ein Jahr,“ …Er grinste in sich hinein. Lieber nix sagen. Es lässt dich nie wieder los. Du wirst eine andere werden. Und so vieles wird dir dann zu eng erscheinen, du passt nicht mehr in die zu kleinen Schuhe.
Am Himmel näherte sich von ferne das Geräusch des Hubschraubers, er flog auf den Berg zu. Man konnte dort nichts erkennen, es war viel zu hoch. “ Ja, da könnte wieder ein Urlauber vom Wege abgekommen sein. Oder so. Hoffentlich nichts Schlimmes passiert!“
Das würde man später wissen, denn alles sprach sich schnell herum. Manchmal kamen Schwimmer um, manchmal Wanderer. Jedes Jahr. Die Größe der unbekannten Gefahren wurde unterschätzt. Krumme Wege, Felsstürze, Wirbel, Ströme, Abgründe und enge Kurven, Hitze, Wind, – nur gefährliche Menschen gab es hier nicht so viele wie in den Städten, wo sie alle herkamen.
„Komm, lass uns nach dem sunset was essen gehen, okay?“ Pizza oder so. „Ich will es lieber langsam angehen, und vielleicht jemand finden, mit dem ich weiterreise. Allein ist das nicht überall so toll!“ Und allein ist man nie. Reisende sprechen miteinander. Es ist egal, ob man sich wiedersieht, oder nicht. Oft sieht man sich ganz woanders zufällig wieder. Es ist einsam und geborgen zugleich.

Lara sprang auf, warf die Brille ab, und lief auf das Wasser zu, um sich abzukühlen. Schönes Licht. Auch Primo war ganz froh, dass er nun etwas vorhatte, am Abend. Und seine Anwesenheit wohl ganz angenehm. Ein bisschen schmeichelhaft, oder etwa nicht!

Fortsetzung Der magische  Ort 3

 

Drei Wochen später. Herr und Frau Mayer sitzen in ihrem kleinen Hotelzimmer und blicken auf das Meer. Vor dem Eingang des Hotels steht ein Polizist. Er versteht kein deutsch. Es ist untersagt, an den Strand zu gehen, nur zum Einkauf von Lebensmitteln darf man nach draußen. Die Flüge für neue Touristen wurden abgesagt.

Auch dort, also in Deutschland, gibt es keine Konzerte mehr, Schulen und Kitas sind geschlossen. Welche Katastrophe ist nun über alle gekommen? Man merkt nichts von ihr, sie ist unsichtbar. Ein offenbar gefährliches Virus ist unterwegs. Es begann in China, dort sind viele Menschen gestorben, und die ganze Wahrheit wird man von dort auch nicht erfahren. Es werden nämlich alle damit beruhigt, es sei gar nicht gefährlich, nur so wie eine Grippe. Doch wann bitte, hat man je so etwas erlebt? Dass die ganze Wirtschaft sich freiwillig in die Pleite steuert? Auf dieser kleinen Insel blieb man bisher verschont, und man möchte es auch bleiben.
Primo sah es kommen, er hat ein Zimmerchen gemietet im oberen Tal, bei Maria, welche selbst gar nicht da ist. Dennoch findet er das alles unbegreiflich, unfassbar. Er hat einen schönen Blick auf die Berge. Wie schnell und unheimlich die Behörden plötzlich alles übernehmen, so als sei man im Krieg. Alle Restaurants, Bars sind geschlossen und die Katastrophe wird sein, dass niemand mehr Geld verdienen kann. Andererseits ist das doch nun genau das, was er immer gewünscht hat: die Maschine wird angehalten, die nur mehr und mehr produziert, die rücksichtslos mit der Umwelt umging- welche Erholung: keine Flüge, keine Menschenmassen, die sich Woche für Woche in arme Länder wälzten, um dort an der Sonne zu liegen.
Auf einer ganz anderen Ebene wird es die Menschen treffen. Sie müssen mit sich selbst allein sein. Wenn die Hamsterkäufe getätigt sind, was dann? Das ewige Tun und Machen, wenn es aufhört, dann knirscht es im Gebälk. Es könnte durchaus zu Unruhen kommen. Denn die Unruhe ist in den Menschen drin. Darum sind sie ja ständig unterwegs, sie mögen nicht hingucken, auf ihre Traumageschichten, die aus langer Reihe der Vorfahren bereits überliefert werden.
Primo seufzte. Nun hat er die Ruhe, er hat alles was er wollte. Nur wünscht man sich eben das, was fehlt, oder ein Gleichgewicht herzustellen, wenn etwas zu viel ist. Die Erde oder das Universum, die machen das jetzt. Oder etwa doch ein Biowaffenlabor? Man weiß überhaupt nicht mehr, was stimmt, die Experten im Internet widersprechen sich alle und es gibt wilde Theorien, die im Radio dann wieder entkräftet werden-. So glaubt man am Ende gar nichts mehr. Zuviel von Unwahrheit, hat auch eine Wirkung…
Lara hingegen ist sehr beunruhigt. Was wird jetzt aus ihrem Neuanfang? Auch sie sitzt in ihrem kleinen Zimmer, wo nur das nötigste vorhanden ist. Es ist schockierend, niemand soll sich mehr näher kommen, alles wurde geschlossen. Und sie hört aus dem Zimmer nebenan die Töne einer Mundharmonika. Jemand spielt eine etwas wehmütige Bluesmelodie, und es wird Lara nun wirklich traurig ums Herz. Endlich Zeit, um durch den Abschied von ihrem vorherigen Lebensabschnitt zu gehen, von der demütigenden Kündigung Abstand zu nehmen, tatsächlich, das ist wohl zuerst dran, bevor ein Neuanfang ansteht.
Sie driftete ein wenig fort mit der Musik, und erst als diese aufhört, wird es ihr bewusst. Sie kommt schnell auf die Füße und öffnet ihre Tür, klopft an die Nachbartür und ruft: „Hey, thank you. Very nice!“
Und die Tür öffnet sich langsam, ein verwirrt blickender Musiker mit noch wirrerem Haar lächelt sie an, und schon gibt es wieder einen Neuanfang von etwas Neuem, eine Gemeinschaft mitten in der Isolation. Schließlich sind auch Familien miteinander in Quarantäne und nicht einzeln. Da wo so viele allein leben, ist es doch gerade in der schweren Zeit gut, im Kontakt zu bleiben, sich nach dem anderen zu erkundigen!

Er sah jung aus, und verstand kein englisch. Doch das war nicht so wichtig. „La musica es mi medicina!“ das konnte auch Lara gut verstehen. Mit dem klaren Satz winkte er ihr, einzutreten in den chaotisch kleinen Raum, darauf bedacht, sich nicht zu nahe zu kommen. Raul war höflich und wartete ab, bis sie sich auf einer Ecke des Bettes an die Kante gesetzt hatte. Ja, es war gar nicht erlaubt, Freunde zu besuchen. Doch das sah ja niemand…Raul setzte wieder an, eine neue Melodie ertönte und Lara überließ sich dem Träumen. Ihn sah sie natürlich auch an, und studierte die Linien des Gesichtes, die schlotterigen Hosen und die selbstbewusste Unschuld, die er ausstrahlte.


Es war ihr so, dass sie sich hier gar nicht verstellen musste, sie fühlte sich weich, gut aufgehoben und einfach. Alles so einfach. Später teilten sie Käse und Brot aus ihrem Zimmer, und Lara begann ihre ersten Spanischlektionen.
Es war gar nicht mehr so schlimm, einige Tage drinnen zu bleiben. Zum Einkaufen durfte man los. Wenn man einen Hund hatte, durfte man kurz raus. Dafür konnte man sich den winzigen Hund der Pensionsinhaberin ausleihen, der sehr erfreut seine vielen neuen Spaziergänge wahrnahm. Alles draußen war wunderschön- und leer. Es hatte einen völlig surrealen Anschein. Lara ging gern einkaufen. Es machte ihr jetzt Freude, Salate zu erfinden, die spanischen Leckereien auszuprobieren, und es gab auf einer anderen Art einfach keinen Druck mehr, etwas tun zu müssen. Sie hatte ja schon einige Wanderungen hinter sich, hatte die atemberaubende rauhe Schönheit der Insel kennengelernt, Schritt für Schritt sich mehr verliebt. In Steine.


Es reisten nun mehr und mehr Leute ab, die noch feste Flüge hatten. Und wer länger blieb, der hatte nun Teil an dieser gewissen Art von Intimität, die sich einstellt, obwohl man gar nichts macht. Die Pension war eine Familie. Das Ehepaar kümmerte sich um ihre Gäste, man hatte einen Fernseher, auf dem sie die ständig laufenden Nachrichtensendungen oder Seifenopern ansehen konnten. Einzeln, mit Abstand. Sie besorgten täglich die großen Kanister mit Trinkwasser. Für alle war es erst mal eine ganz große Anspannung gewesen, die neuen Umstände zu akzeptieren. Und langsam fand ein großes Aufatmen statt. Hatte hier wirklich jemand Angst, krank zu werden? Lara kam das nicht so vor. Alle bemühten sich nur, Respekt vor den Verordnungen zu zeigen, und sie trotzdem irgendwie zu hintergehen. das war ja menschlich, und Lara, die an mehr Gehorsam gewöhnt war, wurde etwas mehr locker. Sie hatte sich das ja so ausgesucht, und auf gar keinen Fall hätte sie zurück in ein Büro in der Stadt gewollt.

 


Sie fühlte sich geborgen. Heilmittel war die Musik in der Tat, Balsam für ihre Seele und sie lernte sogar, selbst einige Lieder mitzusingen. Auch wenn das Internet einen mit aller Unterhaltung versorgte, falls nicht gerade der Strom ausfiel, was öfter für einige Stunden passieren konnte.

Einer der Verwandten von den Domingos war Polizist, und er schaute beinahe jeden Tag herein, lehnte sich unten beim Eingang an die winzige Rezeption und berichtete wortreich von den Neuigkeiten. Die Familie diskutierte über Politik. Der Senor konnte sich frei bewegen, er hatte aber auch wirklich viel zu tun. Die Geldstrafen für Gesetzesübertreter waren recht hoch. Gern warf er Lara bewundernde Blicke zu, es gehörte sozusagen zum guten Ton. Da war eine Sprache hinter der Sprache, eine ganz andere Körpersprache, und Lara lernte und lernte. Warum nicht. Es war Spaß. Zu diesem Vollmond würde es gewiss keine Tanzveranstaltung geben. Andererseits schritt nun schon der März voran, und die Ostertage kamen näher. Dies war den Einheimischen sehr wichtig, es gab normalerweise archaisch wirkende Prozessionen, bei denen die Straßen und kleinen katholischen Kirchen geschmückt wurden. Sodann trug man die Heiligen in Form von Holzskulpturen den Berg hinauf, begleitet vom rhythmischen Klang der Chakaras und Tanzschritten. Lara hätte das gern gesehen. Sie entnahm dieses Wissen den Reiseführern. Es gab sogar eine Maria, die im Boot von einer Insel zur nächsten gefahren wurde, zu einem anderen der zahlreichen Feiertage. Aber nun konnten die Familien nicht zusammenkommen wie sonst jedes Jahr. Dabei durften sie ja schon zur Arbeit und auf die kleinen Terassenfelder, auf denen Kartoffeln angebaut wurden, Bananen, Mangos und anderes. Etwas frisches gab es immer in den kleinen Läden.


Der Mond schien bereits hell über dem Wasser. Einige der Zimmer hatten Balkone, und Lara konnte in ein solches Zimmer wechseln, ohne Aufpreis. Sie zahlte nun sowieso schon eine monatliche Miete. So konnte sie draussen an der Sonne oder draussen im Mondlicht sitzen. Sie lachten viel. Besonders wenn die Verständigung holperte. Dona Domingo brachte ab und zu eine Art Karamellpudding vorbei, oder eine Flasche Wein.
Es stellte sich heraus, dass auch Raul einer der Verwandten war, er studierte Archäologie und hätte eigentlich einige Monate Feldstudien machen sollen. So verbrachte er mehr Zeit mit seinen Büchern, in denen es um Ureinwohner und frühe Reisen der Völker ging. Auf der Insel hatte es einige Zeugnisse der alten Zeit gegeben, die sich in Höhlen erhalten hatten, sowie mysteriöse Steinkreise, die von den meisten als Dreschplätze bezeichnet wurden. Es gab auch andere Theorien, natürlich von den ausländischen Esoterikern. Archäologen aber machen keine Spekulationen. Unbedingt wollte Raul noch so viele der alten Leute befragen, nach ihrem Wissen. Da hier so viele aus-und eingewandert waren, , war das wohl nicht leicht, alles zuzuordnen. Doch trotzdem waren die meisten Familien untereinander verwandt. Sie sprachen ihren eigenen Dialekt, und Lara war froh, von Raul das Spanisch aus der Stadt zu hören, denn sonst hätte sie es sicher nicht gelernt.

Primo hatte langsam genug von sich selbst. Er sah den runden Mond an und beschloss, im Dunkeln einen Ausflug zu wagen, ohne Lampe die ihn verraten würde. Dazu musste er sich vorsichtig auf einen unebenen Weg aus grob behauenen Steinen begeben, bis zur Mitte des Tales wo ein Bach steil abwärts floss. Auf dessen anderer Seite ging es an den mit Steinmauern eingefassten Terassen wieder nach oben, Und weit oben hatte Eagle seinen Garten, er bewohnte ein Holzhäuschen, dass an eine Steinmauer angelehnt war. Die Ränder des Baches waren von meterhohen Schilfgräsern bewachsen, nur wenige funzelige Strassenlampen glühten in der Ferne, von der einzigen Strasse. Hier musste man laufen, denn alles war auf Treppen erreichbar. Primo tastete sich voran. Das war schon richtig aufregenbd und unheimlich. Dabei gab es hier nicht mal gefährliche Tiere! Nur sah er ständig welche, in den Schatten knorriger Bäume. Er näherte sich dem Rauschen und glitt fast auf dem nassen Stein aus. Frösche! Ihre Stimmen kannte er. Dann näherte sich ein toktok, da ging jemand! Primo schnaufte und sah schnell zu, dass er hinter einen großen Felsen kam. Eine alte Frau mit dem Stock in der Hand und einem Bündel Grünzeug für die Ziegen auf dem Rücken, bahnte sich langsam den Weg voran und ging an ihm vorüber, den Kopf nach unten gebeugt. Nun fühlte er sich bald wie als kleiner Junge, wenn er verbotenes Land betrat, und Abenteuerlust erwachte wieder in ihm. Aber verflixt! Wo ist denn diese Haus nochmal? Der Hippie saß bestimmt bei Kerzenlicht und Primo konnte nichts erkennen, was ihm vertraut schien. Nach einer Weile, in der er seinen Atem beruhigte, erkannte Primo die Pflanzen. Er war diesen Weg schon hunderte Male gegangen und seine Füsse kannten die Steine. Er wusste auch, wo die großen Kaktusfeigen standen, wo die Mauern, und die Wasserwege. Nun betrat er den Garten durch ein schiefes Tor, und rief leise Hola. Da war nicht mal Kerzenlicht.


„Ey Mann“ sagte der Eagle aus der Dunkelheit. „Cool dass du kommst!“
Der Eagle hatte kein Internet und es gab ne Menge zu erzählen über die außerordentlichen Zeiten. Für Eagle hatte sich gar nicht so viel geändert. In seinem wilden Garten fanden sich an versteckten Stellen auch die wunderbarsten Heilpflanzen, besonders die eine, die geraucht wurde und das Gemüt beruhigte. Primo musste zugeben, dass diese Aussicht ihn beflügelt hatte, sich hierher zu schleichen und vielleicht war er auch nicht der einzige, der im Dunkel der Nacht unterwegs war?
Er lehnte sich nun entspannt zurück und sie kicherten beide ein wenig über die eine oder andere Begebenheit. Das war das beste, was man tun konnte, eigentlich.

 

co) Kayute Kühn sonnenspirit 2020

 

Die Goldenen

San Sebastian, La Gomera

 

Die Nymphen des Brunnens

Spielen mit einer goldenen Kugel

Sie lachen und wachen

Eine rotgoldene Kuppel über ihnen

Mögen sie die Herzen erreichen

Die Härten erweichen

Für die Kräfte aus des Universums Weiten.

 

Die Berggöttin

Sie steht mit den Füssen tief in den Felsen

Sie ist braungolden, rotes Haar, ihr Kleid aus weissen Ginsterblüten

Das Leben, die Geliebte des Teide

Blauweisser weicher Umarmung

Vereinigung von Himmel und Erde

 

Die Goldenen

Sind die Elben

Sie sorgen für die Netze aus

Goldenem und silbernem Licht

Sie tragen die Regenbogenstrahlen

Überall hin.

Sonnenmenschen

Opalophine, Orolian, White Eagle – Sie sind Brunnen der Klarheit, aus denen ich schöpfe, mich zu beleben. Sternenleute und Sonnenmenschen, überdimensional mit uns verwoben. Doch eben so sind die Bäume, die Pflanzen und Tiere mit ihnen und mit uns verwoben. Betrachtet mal die Erde als ein Gewebe aus Lichtfäden, die unzähligen Arten von Leben – jede besonders, und alle mit einem gemeinsamen Herz, um das sie sich versammeln und tanzen. Da ist nichts Schweres, Feststehendes.

Unser Herz ist der Anker, welcher uns hier hält. Wir können es auch in die Weite öffnen. Nichts geht dabei verloren. Die Namen der Pfadfinder helfen als Geländer, an dem wir unser Gleichgewicht halten können, während wir lernen, mit dem Gewebe zu tanzen. Wir lernen, das Leben auf der Erde wahrhaftig zu erleben. Ich nenne die zu gründenden Heilungskreise  being alive circle. Das bedeutet einen Kreis der lebendig ist, sowie einen Kreis aus Lebewesen. Die Auffassung davon, was als lebendig gilt,  wäre zu verändern.

Kayute Sonnenspirit 2014